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Rechtsstaat gut, alles gut? Für eine Differenzierung im Fall Vinzenz

Gegen Pierin Vinzenz, ehemaliger Präsident der Raiffeisen-Gruppe in der Schweiz, läuft ein Verfahren wegen privater Deals. Früher der Liebling der Medien von Blick bis Schweizer Illustrierte, spielt die Presse jetzt auf der Klaviatur der Empörung gegen einen Manager, der offenbar seine Stellung zu seinem eigenen Vorteil genutzt hat.

Nach Klagen von involvierten Firmen erhebt die Staatsanwaltschaft Zürich Anklage und setzt Vinzenz in Untersuchungshaft. Darauf erscheinen in “Weltwoche” und “BAZ” kritische Artikel zum federführenden Staatsanwalt. Dieser war unter medialem Druck im Zusammenhang mit der Affäre um SNB-Präsident Hildebrand schon gegen Alt-Bundesrat Blocher scharf vorgegangen, wobei sich die Vorwürfe im Nachhinein als gegenstandslos erwiesen.

In einer Replik in der “BAZ” verteidigt Markus Melzl, ehemals Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, das Vorgehen seiner Zürcher Kollegen als rechtsstaatlich einwandfrei. Man dürfe nicht den Eindruck wecken, die Schweiz sei kein Rechtsstaat.

“Dialect” findet, dass diese Replik den Kern verpasst. “Gemäss Recht” bedeutet noch nicht “recht und billig” und damit das, was sich der normale Bürger unter “rechtsstaatlich” vorstellt. Weder ist kodifiziertes Recht im Einzelfall sachgerecht, noch sind Handlungen innerhalb des kodifizierten Rechts automatisch legitim. Eine Kritik der Staatsanwaltschaft bedeutet keine Kritik an der neuen Strafprozessordnung, sondern an der Verhältnismässigkeit des Handelns. In unseren Worten:

“Rechtsstaatlich ist auf dem Papier alles einwandfrei [beim Vorgehen des Zürcher Staatsanwalts gegen Pierin Vinzenz]. Die wirkliche Frage stellt sich bei der Verhältnismässigkeit. Untersuchungshaft ist extrem einschneidend für den Betroffenen. Dass durch die Massnahme eine Verdunkelungsgefahr durch Herrn Vinzenz wirksam unterbunden ist, soweit diese überhaupt besteht, bezweifle ich. Zudem scheint das dem Angeklagten Vorgeworfene zumindest nicht eindeutig strafbar zu sein [siehe u.a. Expertise Forstmoser]. Uebrig bleibt der Eindruck einer “Fishing Expedition” mit maximalem Druck à l’américaine. Das ist zwar immer noch rechtsstaatlich – aber es ist nicht die Vorgehensweise eines Rechtsstaats, mit dem man a priori in guten Treuen kooperiert, sondern die Vorgehensweise eines Rechtsstaats, dem man mit Furcht und maximaler Ausschöpfung der rechtlichen Verteidigungsmittel begegnet. Aus meiner Sicht ist das unschweizerisch und führt zu einem Verlust von Vertrauen und guter Zusammenarbeit zwischen Staat und Bürger.”


SW/2018-04-06

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