In einem Beitrag auf LinkedIn am 29. Dezember 2019 wirft Prof. Erwin Heri von der Universität Basel in die Runde, dass negative (Real-)Zinsen möglicherweise vernünftig seien. Sie wären dann das natürliche Ergebnis der Präferenzen der Wirtschaftssubjekte und nicht primär das Ergebnis einer Manipulation durch Zentralbanken.
Als Indizien werden angeführt:
- die über Jahrhunderte stetig sinkende Tendenz der Realzinsen
- die Demographie
- der materielle Wohlstand
Aus folgenden Überlegungen pflichte ich der These von Prof. Heri bei:
- anekdotische Evidenz für ein Ungleichgewicht zwischen grösserer Spar- und kleinerer Investitionsneigung: ich begegne viel mehr Leuten, die in 20 Jahren real geliefert haben möchten als solchen, die in 20 Jahren real liefern möchten
- zur marginalen Zeitpräferenz: trotz im Ländervergleich sicherster und höchster Renten wird in der CH noch darüber hinaus gespart. Das sind schon fast per Definition Gelder, die heute wirklich nicht ausgegeben werden wollen.
- Im Aggregat sparen die Pensionierten in der Schweiz weiter, d.h. selbst im Alter wird im Aggregat nicht entspart, was das Angebot an zu investierendem Kapital weiter erhöht.
- Die Klagen über tiefe Zinsen kommt aus dem Mund von Sparern, die trotz Tiefzinsen weiter sparen, was wiederum anzeigen würde, dass die Zinsen marktgerecht (oder sogar zu hoch) sind.
Wenn man dem Gedankenexperiment von Prof. Heri folgt, wird man kaum ins mediale Lamento über die tiefen Zinsen einstimmen. Sparer haben in einer Welt, in der niemand auf ihr Kapital gewartet hat, keinen Anspruch auf eine garantierte, risikolose Rendite. Vielmehr stehen sie in der Pflicht, selber eine produktive Verwendung für ihr Kapital zu suchen.
Vermögen zu haben ist wie ein Garten: der Erhalt davon bedeutet Arbeit und ist nicht leicht – erst recht wenn man zum reinen Erhalt hinzu noch Erträge generieren will.
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SW/12-FEB-2020